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Zwei Menschen mit Tiermasken stehen sich gegenüber und schauen sich an
Psyche

Was tun gegen das Impostor-Syndrom?

Erfolgreich im Beruf, aber das Gefühl haben, man könne gar nichts: Menschen mit Impostor-Syndrom haben so große Selbstzweifel, dass sie Beförderungen oder gute Leistungen als Glück oder Zufall ansehen. Mit normalen Selbstzweifeln hat das nichts zu tun. Woran Sie das Impostor-Syndrom erkennen – und was dagegen helfen kann.

„Ich hatte enorme Probleme mit meinem Selbstbild und ein sehr geringes Selbstwertgefühl, das ich hinter zwanghaftem Schreiben und Performen versteckte“, sagte David Bowie in einem Interview mit dem Q Magazine im Februar 1997. Auch Tom Hanks oder Albert Einstein bekannten sich öffentlich zu ihren Selbstzweifeln, die angesichts ihres Erfolges über ein normales Maß hinausgehen.

 

Was ist das Impostor-Syndrom oder Impostor-Phänomen?

Hart arbeiten, Überstunden machen, befördert werden – und fest davon überzeugt sein, dass der Erfolg erschlichen ist und nichts mit den eigenen Kompetenzen zu tun hat: Personen mit Impostor-Syndrom – auch bekannt als Hochstapler-Phänomen – neigen dazu, ihre Leistungen abzuwerten und Erfolge äußeren Umständen wie Glück zuzuschreiben. Diese permanente Unterbewertung der eigenen Fähigkeiten wird häufig von der Angst begleitet, dass dieser vermeintliche intellektuelle Betrug früher oder später auffliegt.

Neben dem Impostor-Syndrom ist auch der Begriff Impostor-Phänomen üblich. Anders als das Wort „Syndrom“ vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um eine Krankheit oder psychische Störung, sondern um ein psychologisches Phänomen.

Sind Frauen besonders häufig vom Impostor-Syndrom betroffen?

Der Begriff „Impostor-Syndrom“ wurde 1978 von den beiden Psychologinnen Dr. Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes geprägt. Sie hatten beobachtet, dass sich besonders viele beruflich erfolgreiche Frauen als Hochstaplerinnen fühlten und meinten, dass ihre Leistung überschätzt würde. Doch es betrifft nicht nur Frauen, bei Männern kommt es im gleichen Maße vor.

Impostor-Syndrom: Männer und Frauen ticken unterschiedlich

Das Impostor-Syndrom betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Entgegen früheren Annahmen, dass vor allem Frauen betroffen sind, zeigt eine Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dass Männer ebenso häufig unter dem Impostor-Syndrom leiden.

Allerdings reagieren laut einer Untersuchung der Youngstown State University in Ohio Männer und Frauen unterschiedlich auf Selbstzweifel:

  • Frauen haben mehr Angst vor negativem Feedback, sind aber auch mehr angespornt.
  • Bei Männern hingegen führt es dazu, dass sie sich weniger bemühen und schneller aufgeben.​​​​​​​

Aktuelle Studien zum Impostor-Syndrom

1. Hochstapler-Phänomen unabhängig von Alter, Geschlecht und Intelligenz

Psycholog:innen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg führten 2022 eine Studie unter realen Prüfungsbedingungen mit 76 Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch, die verschiedene Intelligenzaufgaben absolvierten. Sie stellten fest, dass das Hochstapler-Phänomen unabhängig von Alter, Geschlecht und Intelligenz auftritt.

2. 70 Prozent der Menschen erleben Impostor-Phänomen

Eine 2019 veröffentlichte Studie des International Journal of Behavioral Science zeigt, dass etwa 70 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben Anzeichen des Imposter-Syndroms erleben.

Es handelt sich also um ein weit verbreitetes Phänomen, das oft verborgen bleibt, da Betroffene ihre Unsicherheiten nicht offen teilen.

3. Zusammenhang zwischen Impostor-Syndrom und chronischem Stress

Eine Bachelorarbeit von Andrea Schwieter aus dem Jahr 2024 untersuchte das Impostor-Phänomen bei Studierenden. Studierende mit starkem Impostor-Selbstkonzept zeigen deutlich häufiger Arbeitsverhalten wie Perfektionismus oder Prokrastination, erleben mehr chronischen Stress und haben weniger Möglichkeiten der Selbstregulation. 

Chronischer Stress konnte dabei als Mediator – also als vermittelnde Rolle – zwischen Perfektionismus und dem Impostor-Selbstkonzept identifiziert werden. Das heißt: Perfektionistische Menschen erleben oft chronischen Stress, und dieser Stress verstärkt wiederum das Impostor-Gefühl.

Oder anders ausgedrückt: Jemand, der sehr perfektionistisch ist, setzt sich selbst unter starken Druck, um immer fehlerfreie Arbeit abzuliefern. Dieser Druck führt zu chronischem Stress. Der Stress wiederum verstärkt Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, sodass die Person glaubt, ihre Erfolge seien nicht verdient – ein klassisches Merkmal des Impostor-Syndroms.

4. Jede zweite Führungskraft hat „Hochstapler“-Syndrom

Einer Studie aus dem Jahr 2029 zufolge hat etwa jede zweite Führungskraft ein Impostor-Phänomen ausgebildet. Für Führungskräfte kann das Impostor-Syndrom besonders belastend sein, da sie unter ständiger Beobachtung stehen und ihre Entscheidungen weitreichende Auswirkungen haben.

Habe ich das Impostor-Syndrom?

Es gibt Hinweise, die zeigen, ob Sie eine Tendenz zum Impostor-Syndrom haben, zum Beispiel, wenn Sie ...

  • in Prüfungen oft Angst hatten, nicht so gut abzuschneiden, und die Aufgaben oder den Test dann doch erfolgreich bestanden haben.
  • Angst vor Bewertungen haben – sei es durch eine Aufgabe oder durch andere Menschen.
  • den Gedanken haben, dass Sie eine Jobposition oder Erfolge nur erreicht haben, weil Sie am richtigen Ort zur richtigen Zeit waren.
  • die Sorge haben, andere Menschen könnten entdecken, dass Sie gar nicht so viel wissen oder können, wie sie dachten.
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Selbstcheck: Impostor-Persönlichkeit

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Lesy-Kurs: Das Impostor-Syndrom

Ursachen: Woher kommt das Impostor-Syndrom?

Die möglichen Ursachen für das Entstehen des Impostor-Phänomens sind vielfältig und komplex. Sowohl die Persönlichkeit als auch Erziehung und Umweltfaktoren spielen wahrscheinlich eine Rolle.

1. Glaubenssätze, die in der Kindheit erlernt wurden, wie „Ich muss etwas leisten, um geliebt und anerkannt zu werden“ sowie ein hoher eigener Anspruch in Kombination mit einem geringen Selbstvertrauen können zur Entwicklung des Impostor-Phänomens beitragen.

2. Übertriebene Fürsorge („Helikoptern“) der Eltern kann das Impostor-Syndrom ebenfalls begünstigen. Wem immer vermittelt wurde, (angeblich) in allem gut zu sein, und wem stets jegliche Steine aus dem Weg geräumt wurden, konnte nicht lernen, mit Herausforderungen und Rückschlägen umzugehen. So entstehen im Erwachsenenleben vermehrt Selbstzweifel, wenn plötzlich nicht mehr alles sofort gelingt.

3. Niemals gelobt zu werden kann ebenfalls zu Hochstapler-Gefühlen führen. Wenn ein Kind auch für sehr gute Leistungen nicht gelobt wird, wird ihm dadurch vermittelt, dass seine Bemühungen nie ausreichen – egal wie sehr es sich anstrengt.

4. Nicht-akademisches Elternhaus: Studien belegen, dass das Impostor-Phänomen bei Personen, die z. B. aus Arbeiterfamilien stammen und als erste in der Familie studieren und einen akademischen Beruf ergreifen, besonders häufig vorkommt. Oft fühlen sie sich der akademischen Welt nicht wirklich zugehörig.

Wie unterscheide ich normale Selbstzweifel vom Impostor-Syndrom?

Jeder kennt das Gefühl, am eigenen Können zu zweifeln – doch nicht immer steckt dahinter das Impostor-Syndrom. Normale Selbstzweifel lassen sich recht einfach vom Impostor-Syndrom unterscheiden:

Während normale Selbstzweifel mit der Zeit und zunehmenden Erfolgserlebnissen nachlassen, verhält es sich beim Impostor-Syndrom genau umgekehrt. Je erfolgreicher Betroffene werden, desto größer wird ihre Angst, die Erwartungen anderer nicht erfüllen zu können. Sie schreiben ihre Erfolge nicht den eigenen Fähigkeiten zu, sondern führen sie auf Glück oder äußere Umstände zurück.

Ergo: Menschen mit Impostor-Syndrom ziehen aus ihren Erfolgen nicht mehr Sicherheit oder Selbstbewusstsein.

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Unterschiede zwischen normalen Selbstzweifeln und dem Impostor-Syndrom:

  • Ursachenattribuierung: Menschen mit normalen Selbstzweifeln erkennen ihre Erfolge als Ergebnis von harter Arbeit und Fähigkeiten an. Betroffene des Impostor-Syndroms schreiben ihre Erfolge äußeren Faktoren wie Glück oder Zufall zu und glauben, sie hätten keinen echten Verdienst daran.
  • Häufigkeit und Intensität: Normale Selbstzweifel treten situativ auf und sind meist vorübergehend. Beim Hochstapler-Syndrom sind die Zweifel ständig vorhanden und intensiv, unabhängig von objektiven Erfolgen.
  • Auswirkungen auf das Verhalten: Während normale Selbstzweifel zu Selbstreflexion und Verbesserung führen können, resultiert das Impostor-Syndrom oft in übermäßigem Perfektionismus, Vermeidung von Herausforderungen und Angst vor Misserfolg.​​​​​​​

Es ist wichtig, das Impostor-Syndrom zu erkennen und geeignete Strategien zu entwickeln, um diesen übermäßigen Selbstzweifeln entgegenzuwirken, da sie das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen können.

5 Tipps: Was kann ich tun, wenn ich das Impostor-Syndrom habe?

Wenn Sie unter dem Impostor-Syndrom leiden, können die folgenden wissenschaftlich fundierten Strategien helfen, Ihr Selbstvertrauen zu stärken:

1. Erkennen Sie Ihre Gedankenmuster

Notieren Sie, wann und in welchen Situationen Selbstzweifel auftreten. Hinterfragen Sie diese Gedanken und ersetzen Sie sie durch realistische Alternativen.

2. Fakten checken

Haben Sie wirklich alles nur durch Glück erreicht? Oder stecken Können, Arbeit und Erfahrung dahinter? Schreiben Sie Ihre Erfolge auf – und jedesmal, wenn Sie an Ihren Fähigkeiten zweifeln und unsicher werden, lesen Sie die Liste durch.

3. Austausch mit anderen suchen

Tauschen Sie sich mit anderen aus. Oft teilen andere ähnliche Gefühle, was entlastend wirken kann.

4. Vermeiden Sie Vergleiche mit anderen

Auch wenn es schwer ist: Versuchen Sie, sich nicht zu vergleichen. Jeder hat seinen eigenen Weg. Nur weil jemand anders selbstbewusst wirkt, heißt das nicht, dass er oder sie keine Zweifel hat.

5.  Nehmen Sie professionelle Unterstützung an: Coaching oder Therapie

Wenn das Impostor-Syndrom zu erheblichem Leid führt, kann ein Coaching oder eine psychologische Therapie sinnvoll sein, um das Selbstwertgefühl zu stärken.

Diese Ansätze können Ihnen helfen, das Impostor-Syndrom zu überwinden und Ihr Selbstvertrauen zu stärken.

 

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null Schauspieler Samuel Koch: "Ich wünsche mir mehrere Leben"

Samuel Koch Portrait
Body & Soul

Schauspieler ​​​​​​​Samuel Koch: "Ich wünsche mir mehrere Leben"

Der Name Samuel Koch ist unweigerlich mit dem 4. Dezember 2010 verbunden. An diesem Tag stürzte der ehemalige Kunstturner in der TV-Sendung “Wetten, dass..?” so schwer, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Millionen Menschen nahmen damals Anteil an seinem Schicksal und ließen sich von seinem Kampfgeist und seinem Mut inspirieren. Wir trafen den 37-Jährigen auf dem Health Day 2024 und sprachen mit ihm über geplatzte Träume, neue Perspektiven, seine Vereinsarbeit und Baumhaus-Partys in Nicaragua.

Bestsellerautor, Schauspieler, Vereinsgründer, Speaker und ehemaliger Profiturner. Ganz schön viel für ein Leben …

Das Turnen war schon immer mein Lebensinhalt, das habe ich gemacht, seit ich denken kann, und es intensiv betrieben, bis ich nicht mehr konnte. In meinen besten Zeiten habe ich mindestens zweimal am Tag trainiert, in Deutschland in der zweiten Bundesliga, aber vor allem in der französischen Liga geturnt.

Nach dem Abitur wollte ich irgendwas mit dem schon fast 17 Jahre herangezüchteten Körper machen und irgendwie fliegen. Auf körperlicher, sportlicher Ebene gibt es keine bessere Schule als das Kunstturnen.

Da taten sich verschiedene Ideen und Möglichkeiten auf: Ich habe bei der Bundeswehr die Offizierseignung bestanden und wollte Jetpilot werden, ich hatte ein Stipendienangebot von der State University of Illinois als Kunstturntrainer. Und weil ich in Frankreich geturnt hatte, gab es auch die Überlegung, als Akrobat zum Cirque du Soleil zu gehen.

Letztendlich habe ich mich an der Schauspielschule beworben, weil ich da von allem ein bisschen sein konnte. Es ist ein Studium, in dem man steppt, reitet, tanzt und Akrobatikunterricht hat.
 
Beim Vorsprechen in der Schauspielschule haben die gesagt: “Wie ist das möglich, dass du mit 21 so einen vollen Lebenslauf hast?”. Schon nach dem Abitur habe ich gedacht: „Ich brauche sieben oder acht Leben bei all dem, was es hier so zu entdecken gibt“. Zwischenzeitlich hatte ich allerdings keinen Plan mehr, weil mein Leben und meine Pläne so auf den Körper ausgerichtet waren.

Aber mittlerweile bin ich wieder an dem Punkt, wo ich mir mehrere Leben wünsche.


Samuel Koch mit pme-Redakteurin Christin Müller im Gespräch.

Du warst vor deinem Unfall so aktiv. Hast du dich nach dem Tag X gefragt, ob du noch der sein kannst, der du vorher warst?

Alles, was ich machen wollte, war auf einmal weg – ob Cirque du Soleil, Turntrainer, Pilot –, und auch für alles andere hätte ich meinen Körper gebraucht.

So lange ich denken konnte, wurde ich immer als Sportler und Turner definiert und identifiziert, war in der Schule oft weg für Wettkämpfe. Und auf einmal war ich das dann nicht mehr und lag nur noch rum. Da habe ich mich schon gefragt, wer ich eigentlich bin.

Und dann wurdest du mit dem Unfall Bestsellerautor …

Als ich noch im Krankenhaus lag, kamen viele Verlage auf mich zu und wollten ein Buch mit mir machen. Erstmal habe ich alles abgesagt. Dann habe ich über einen Freund den Verlagschef vom Adeo Buchverlag kennengelernt, der mich im Gespräch überzeugt hat. Wir haben eine Exitklausel vereinbart, von der ich noch einen Tag vor der Veröffentlichung Gebrauch machen und ohne Angabe von Gründen abspringen konnte. Das klang fair. Der Verlagschef hat mir wiederum Prof. Dr. Christoph Fasel vorgestellt, mit dem ich bis heute befreundet bin. Ihm habe ich alles erzählt, er hat es aufgeschrieben. Es war schön, mich mit ihm auszutauschen – vielleicht auch eine Form von Therapie.

Als ich den Text zum Buch gesehen habe, habe ich die Exitklausel gezogen und gesagt “Wir brechen ab. Wir lassen das jetzt”. Ich fand das alles merkwürdig und blöd. Dann stellte der Verlagschef mir die Lektorin Karoline Kuhn vor – ebenso bis heute eine gute Freundin von mir. Er setze sie mir zur Seite, und sie schrieb jeden Satz so, wie ich ihn gerne wollte.

So kam es zum Buch „Zwei Leben“. Meine Motivation dahinter war vor allem, dass ich – und das ist nicht übertrieben – kistenweise Zuschriften von Menschen bekommen hatte. Es gab eine rührende kollektive Anteilnahme. Über das Erzählen meiner Geschichte fand ich eine Form, all diesen Menschen zu antworten.

Hast du in den letzten Jahren Träume entwickelt, an die du vorher nicht gedacht hast, weil sie noch nicht relevant waren?

Ja, das ist unsere Vereinsarbeit mit dem Samuel Koch und Freunde e.V., die mir vorher nicht in den Sinn gekommen wäre. Mir ist erst in meiner Reha-Zeit bewusst geworden, welch unfassbarer Schatz es ist, so viele Freunde und Familienmitglieder bei mir am Krankenbett zu haben, dass ich einen Zeitplan für die Besuche aufstellen musste. Der Kollege im Bett gegenüber hat die ganze Nacht geschrien vor Schmerzen und weil er allein war und voller Trauer. Wenn man da neun Monate liegt, kommen mit der Zeit immer weniger Menschen. Das war so ein Aha-Erlebnis für mich.

Dazu bekam ich über die Monate (und bekomme immer noch) sehr viel Post von meist überlasteten, überforderten, verzweifelten Menschen, die in der Familie einen Schicksalsschlag haben und sich mit meiner Situation identifizieren.


Samuel Koch war Speaker auf dem pme Health Day 2024.

Erhoffen sich die Menschen eine konkrete Hilfe?

Sie sehen mich in der Öffentlichkeit und denken sich vielleicht: „Er hat das geschafft, trotz des ganzen Mists, den er erlebt hat.“ Ich kenne das auch von mir. Ich war komplett orientierungslos, hatte keinen Plan mehr in meinem Leben. Das Nicht-laufen-Können und Im-Rollstuhl-Sitzen ist nur das, was man sehen kann.

Aber das alles zieht einen Rattenschwanz an Unwägbarkeiten mit sich, mit denen ich bis heute zu kämpfen habe. Jeden Monat muss man neu beantragen, dass man jemanden braucht, der einen am Leben hält. Mein Vater hat seine Rente aufgelöst, damit er die Pflege seines Sohnes mitbezahlen kann – das ist mein Lebensalltag. Ich habe noch die Chance, als Speaker zu arbeiten, um mir was dazuzuverdienen. Kaum auszumalen, wie es anderen geht.

Wie unterstützt du Menschen mit deinem Verein?

Wir unterstützen mit unserer Arbeit die Gruppe der pflegenden Angehörigen – die Mütter, die Väter, die Geschwister, die Partner von verletzten oder schwer erkrankten Menschen, die nicht weiterwissen.

Auf der einen Seite gibt es viele Angebote, auf der anderen Seite viele Menschen, die Hilfe brauchen. Ich wollte Angebot und Nachfrage zusammenführen. Dadurch ist der Verein entstanden. Wir merken z. B. immer, wie kostbar es ist, regelmäßig Familienzeiten abzuhalten, die eine Auszeit sind für Körper, Seele und Geist für die Familie oder die manchmal im Schatten stehenden Geschwister. Die Leute zehren von unseren Familienzeiten zum Teil jahrelang.

Wie sieht so eine Familienzeit aus?

Die Familien, die zu uns kommen, haben einen Angehörigen mit Einschränkungen oder massiven Einschränkungen, Behinderung oder einer Schwerstbehinderung.

Egal, wie sehr man seinen Vater, seine Mutter oder sein Kind liebt, irgendwann ist man am Limit. Denn die Pflege von stark eingeschränkten Personen ist ein 24/7 und 365-Tage-im-Jahr-Job. Die Menschen, deren Kind beispielsweise im Rollstuhl sitzt, können nicht einfach so in den Urlaub gehen, weil das häufig finanziell nicht so leicht möglich ist.

In der Familienzeit müssen sie mal für eine Woche nicht aufpassen, weil wir die Pflege und Betreuung mit übernehmen. Die pflegenden Angehörigen können sich eine Auszeit nehmen. Und das sieht im Detail ganz bunt aus: Maniküre für die Mütter, Massage, Kanuausflüge, Gesang mit Musiktherapeuten, Basteln, Beratungsgespräche, Austausch mit den anderen Familien – für alle ist etwas dabei.

Zurzeit mieten wir uns in bestehenden Gebäuden ein. Mal in der Stadtmission Berlin, mal in einem Tabaluga-Haus der Peter Maffay Stiftung, mal in einem Kloster in Mitteldeutschland, mal in einem Bauernhof. Das Ziel wäre irgendwann ein eigenes Hoffnungsinstitut, eine Wohlfühloase für Körper, Seele und Geist anzubieten, wo alles barrierefrei ist – vom Spielplatz über den Jacuzzi bis hin zum Theaterraum und der Werkstatt.

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Was tust du für deine mentale Gesundheit?

Ich starte jeden Tag bewusst in Stille, mit einem hörenden Herz – ohne Handy oder andere Dinge, die mich in Beschäftigung und Ablenkung verwickeln. Sobald man das Handy anmacht, ist alles dringend, du musst noch dies und das und jenes machen. Ich glaube, dass das der mentalen Gesundheit nicht zuträglich ist.

Ich kann ein bis zwei Stunden nur lesen und still sein und nachdenken, bevor ich mit dem Business starte. Da muss ich aufpassen, dass ich mich nicht verzettele.  Manchmal dauert meine stille Zeit aber auch nur drei Minuten.

Die stillen Zeiten sind für mich sehr wichtig. Ein- oder zweimal im Jahr versuche ich bewusst, mehrere Tage nichts anderes zu machen als das, was man heute Detox nennt. Ich gehe dann – ganz klassisch – gerne ins Kloster. Und ich versuche meinen Tag so zu beenden, wie er begonnen hat.

Das klingt, als hättest du einen guten Plan entwickelt, dein Leben in Balance zu halten …

Ja, ansonsten bin ich nicht so gut darin, was Work-Life-Balance angeht. Meine Frau sagt immer, ich habe eine Work-Work-Balance. Ich glaube, innerhalb meiner Work-Work-Balance, meiner Work-Life-Balance oder meiner mentalen Gesundheit ist es zuträglich, dass meine Arbeit auch mein Leben ist und mein Leben auch meine Arbeit.

Es gibt Coaches, die sagen, "Das kann ich nicht" ist eine selbst auferlegte Begrenzung. Wie siehst du das?

Ich bin da sehr ambivalent. Einerseits kann ich sehr faktisch sagen: „Ich kann nicht laufen.“ Wenn ich dann Sprüche höre wie „Du musst nur an dich glauben“, „Du musst es nur wollen,“ „Lebe deinen Traum“, muss ich sagen: “Manchmal geht es einfach nicht”. Es gibt Dinge, die können wir nicht leugnen und nicht schönreden, da kann die Psyche noch so stark sein. Dann ist es vielleicht die höhere Kunst, etwas zu akzeptieren, loszulassen oder Alternativen zu finden.

Auf der anderen Seite reagiere ich allergisch auf Sätze wie „Das geht nicht,“ „Das ist zu kompliziert“, „Ist nicht versichert“, „Das haben wir noch nie so gemacht“. Ich finde es gerade für mein Leben extrem wichtig, nicht nur darauf zu schauen, was ich nicht kann, sondern vor allem zu überprüfen: Was kann ich und was geht noch? Auch wenn andere sagen, es geht nicht.

Und wenn es heißt: Es gab noch nie einen Rollstuhlfahrer, der da oben in dem Baumhaus in Nicaragua einen House Rave mitgefeiert hat, dann bin ich sofort hellhörig und mache das dann extra.

Du giltst als Mutmacher oder gar als Role Model, der Menschen in ausweglosen Situationen Zuversicht schenkt. Siehst du dich selbst auch als Vorbild, oder ist dir der Druck manchmal zu groß?

Ich denke, dass jeder Verantwortung hat. Wir sind in einem demokratischen Land geboren und sollten uns auch so verhalten. In meinem Verständnis von Demokrat:in sein bedeutet das, dass wir soziale Räume, kulturelle Räume, öffentliche Räume und eigentlich jeden Menschen besser hinterlassen müssen, als wir ihn vorgefunden haben.

Und dann, glaube ich, wächst diese Verantwortung mit dem Erscheinen im öffentlichen Raum. Alle, die dort auf Instagram, als Politiker:in oder wo auch immer stattfinden, tragen eine Verantwortung.

Deswegen kann ich nicht sagen, es nervt mich. Es gab natürlich Momente, in denen ich keinen Plan mehr hatte, keinen Bock, keine Perspektive. Und wenn ich gefragt werde: „Was willst du jetzt mit deinem Business, mit deinem Leben?“, dann muss ich feststellen: “Mein Leben bewegt sich ohnehin weit entfernt von dem, was ich eigentlich will”.

Und dann wiederum gibt es diese süßen Kindergartenkinder und Schulklassen, die mir Lieder aufgenommen und geschickt haben. Die Schulauftritte und Musicals, die wir mit Kindern inszeniert, oder das Kinderbuch, das wir geschrieben haben – die Kinder schauen zu dir auf. Sie sind ein schöner, wechselwirkender Erinnerer an diese Verantwortung, und der will ich auch gerecht werden, und das hilft mir selbst wieder.

Bist du glücklich?

Ich bin ein bisschen streng mit dem Wort „glücklich“, weil ich das Gefühl habe, dass diese vehemente Glückssuche an ihrem ursprünglichen Ziel vorbeigeht.
Glück im Sinne von Enjoyment ist – auch in meinem Leben – verhältnismäßig einfach reproduzierbar, langfristig aber eher schädlich.

Die zweite, viel erstrebenswertere Glückskategorie ist das Zufriedensein, mit Betonung auf “sein”, also dem Zustand. Dann kann man auch mal kurz unglücklich sein. Aber im Kern ist man zufrieden mit einer Form von innerem Frieden. Ich würde sagen, dass ich zufrieden bin und einen tiefen Frieden spüre, aber mich gleichzeitig auch nicht zufriedengebe.

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