HerHealth: „Frauengesundheit ist ein wertvoller Wirtschaftsfaktor“
Die Vortragsreihe „HerHealth“ rückt die Gesundheit von Frauen in den Fokus. Initiatorinnen sind die pme-Ernährungstherapeutin Giannina Schmelling und pme-Trainerin Beatrix von Rantzau. Im Interview erzählen sie, warum sie eine Veranstaltungsreihe für Frauengesundheit ins Leben gerufen haben und warum das Thema wirtschaftlich wertvoll für Unternehmen ist.
Was bedeutet Frauengesundheit für euch?
Giannina Schmelling: Frauengesundheit bedeutet für mich, anzuerkennen, dass Frauen andere Bedürfnisse haben als Männer, und auf diese gebührend einzugehen. Diese Unterschiede verdienen es, gesehen, respektiert und in gesundheitlichen Ansätzen berücksichtigt zu werden. Frauen durchlaufen in ihrem Leben verschiedene Phasen, die mit tiefgreifenden Veränderungen einhergehen – sei es durch Menstruation, die Wechseljahre oder eventuell auch Schwangerschaft und Stillzeit. Diese Phasen sollten nicht ignoriert werden und nebenherlaufen, sondern aktiv angenommen werden.
Wichtig dabei ist: Nicht jede Frau ist gleich!
Ein ganzheitlicher Ansatz in der Frauengesundheit bedeutet also, nicht nur geschlechterspezifische Aspekte zu betrachten, sondern auch die Individualität jeder einzelnen Frau.
Ein weiterer Aspekt der Frauengesundheit ist, auf Erkrankungen, die Frauen betreffen, aufmerksam zu machen. Dazu gehören etwa PCOS, PMDS oder Endometriose. Ein besonders prägnantes Beispiel ist Endometriose, eine Erkrankung, die etwa jede zehnte Frau betrifft. Damit ist sie ebenso häufig wie Diabetes. Doch während Diabetes allgemein bekannt ist, können nur die wenigsten erklären, was Endometriose ist und welche Auswirkungen sie hat.
Wie definiert ihr Frauengesundheit im Unternehmenskontext?
Beatrix von Rantzau: Der Blick auf das Thema Frauengesundheit öffnet ein breites Feld an damit verbundenen individuellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlich-organisationalen Themen. Für mich steckt darin, wie es Frauen in den verschiedenen Phasen ihres Lebens ergeht und ob sie diese Phasen entsprechend ihren persönlichen Präferenzen gesund und selbstbestimmt gestalten können, beispielsweise hinsichtlich der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Erwerbsarbeit.
Gerade mit Blick auf den Kontext Arbeit und die wachsende Fachkräftelücke hat Frauengesundheit einen hohen Stellenwert. Wir haben in Deutschland eine große sogenannte Stille Reserve von Frauen am Arbeitsmarkt: 1,2 Millionen Frauen zwischen 25 und 59 Jahren nehmen nicht am Erwerbsleben teil, obwohl sie sich Erwerbsarbeit wünschen und oft gut ausgebildet sind. Ein Drittel von ihnen nennt als Grund dafür die Betreuung von Kindern oder Angehörigen, ein Fünftel nennt gesundheitliche Einschränkungen. Die aktuelle MenoSupport-Befragung lässt den Schluss zu, dass für viele Frauen auch Wechseljahresbeschwerden eine Rolle für die Erwerbsentscheidung spielen.
Sowohl Vereinbarkeit als auch Hormongesundheit sind daher unverzichtbare Handlungsfelder für Organisationen im War for Talents. Die Verteilung der Sorgearbeit hat einen großen Einfluss auf die Belastung und die Teilhabemöglichkeiten von Frauen und ist damit der Hauptfaktor des Gender Pay Gap und auch ein Grund für den Gender Health Gap. Eine große McKinsey-Studie aus dem Jahr 2024 beziffert das globale wirtschaftliche Potenzial einer verbesserten Frauengesundheit auf 1 Billion USD jährlich.
Wir sehen: Frauengesundheit ist ein wertvoller Wirtschaftsfaktor.
Warum habt ihr diese Veranstaltungsreihe initiiert?
Giannina: In meiner Arbeit als Ernährungsberaterin habe ich immer häufiger beobachtet, dass Frauen versuchen, sich in Ernährungslösungen hineinzupressen, die schlichtweg nicht zu ihnen passen. Viele Empfehlungen im Gesundheitsbereich sind allgemein und universell formuliert – etwa, dass das 16:8 Fasten für alle großartig oder Low Carb der schnellste Weg zum Abnehmen sei. Doch "allgemein und universell" bedeutet in diesem Zusammenhang oft: für Männer. Frauen hingegen reagieren häufig empfindlicher auf solche Diäten, was zu ungewollten hormonellen Veränderungen führen kann.
Auch beim Thema Wechseljahre wurde mir in der Beratung zunehmend klar, wie bedeutsam diese Lebensphase ist und wie wenig sie von den Betroffenen selbst wahrgenommen und ernst genommen wird. Frauen klagen über Beschwerden wie Gelenkschmerzen, Gewichtszunahme, insbesondere am Bauch, und Energielosigkeit und erkennen oft nicht, dass diese Beschwerden mit den hormonellen Veränderungen der Wechseljahre zusammenhängen.
In dieser Phase haben viele Frauen außerdem häufig Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmungen und auch ein vermindertes Selbstwertgefühl – alles mögliche Begleiterscheinungen der hormonellen Veränderungen. Bei Hitzewallungen denken wir sofort an die Wechseljahre, bei den psychischen Beschwerden nicht.
Das Gleiche habe ich bei menstruierenden Frauen beobachtet, die beispielsweise über Verdauungsprobleme und starke Traurigkeit klagen und diese Beschwerden nicht mit der aktuellen Phase ihres Zyklus‘ in Verbindung bringen. Dies hat mich dazu bewogen, mich des Themas anzunehmen, um Frauen das Wissen um den eigenen Körper und die verschiedenen Lebensphasen zu übermitteln und sie so zu befähigen, ihre Gesundheit aktiv zu managen und informierte Entscheidungen zu treffen.
Der Female Lifecycle wird von einer Vielzahl einschneidender Lebensphasen bestimmt, die jede Frau über ihre gesamte Erwerbszeit hinweg begleiten. Unsere Veranstaltungsreihe "HerHealth" nimmt diese Meilensteine in den Blick und bietet wichtige Gesundheitsimpulse zu den Themen PMS, Endometriose, Kinderwunsch, Schwangerschaft, Wechseljahre, Fasten sowie Sport und Zyklus. Wir beleuchten gesellschaftliche Themen wie den Gender Pay Gap und Mental Load und zeigen auf, warum sich eine lebensphasenorientierte Unterstützung für Frauen in Organisationen lohnt.
Beatrix: Aber auch unsere Kundenunternehmen haben verstärkt Fachvorträge zur Frauengesundheit nachgefragt. Darauf haben wir reagiert und das Thema breit aufgestellt.
Mit unserer Reihe geben wir den vielschichtigen Aspekten der Frauengesundheit einen Rahmen und eine Bühne. Wir klären auf und tragen dazu bei, die Themen sichtbar und besprechbar zu machen. Unser Ziel ist, Organisationen und Privatpersonen für die Gestaltungsmöglichkeiten und Potenziale zu sensibilisieren.
Was wollt ihr mit der Veranstaltungsreihe erreichen?
Beatrix: Die typische Frauenbiografie ist geprägt von Belastungen im Zusammenhang mit Hormongesundheit und Care-Arbeit. Damit verbunden sind gesundheitliche Belastungen und strukturelle Nachteile, die Männer in dieser Form nicht zu bewältigen haben.
Unser Ansatz ist, mit der Frauenreihe zunächst ein Schlaglicht auf die Besonderheiten des weiblichen Hormonhaushalts und die daraus resultierenden Beschwerden und Tabus zu werfen. Außerdem thematisieren wir Herausforderungen, die Frauen im Speziellen betreffen, wie den Gender Data Gap.
In der medizinischen Forschung entsteht diese geschlechtsspezifische Datenlücke z. B. dadurch, dass Frauen in Studien unterrepräsentiert sind oder geschlechtsspezifische Unterschiede wenig Berücksichtigung finden. Das hat entsprechende Folgen bezüglich Verträglichkeit, Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Medikamenten und außerdem auf die Diagnostik: Herzinfarkte beispielsweise werden bei Frauen häufig nicht rechtzeitig erkannt, da sie andere Symptome haben als Männer.
Auch der sogenannte Never Right Age Bias spielt eine Rolle. Er bezeichnet die altersbedingte Diskriminierung von Frauen im Berufsleben, durch die sie in jeder Lebensphase Karrierebenachteiligung erleben, z. B. aufgrund von Sorgeverantwortung oder den Wechseljahren.
Mit einem Bewusstsein für diese Zusammenhänge und passende Unterstützungslösungen können sich große Potenziale für die Arbeitswelt entfalten:
- Wohlbefinden, Motivation und Leistungsfähigkeit steigen.
- Fehltage gehen zurück.
- Die weibliche Erwerbsbeteiligung kann steigen.
- Unternehmensperformance verbessert sich durch diversere Führung.
- Arbeitgeberattraktivität wird größer.
Wie ist das bisherige Feedback dazu?
Giannina: Das bisherige Kundenfeedback zu den Veranstaltungen ist durchweg positiv und ermutigend. Es zeigt, dass unser Angebot auf großes Interesse stößt und einen echten Mehrwert bietet. Diese Rückmeldungen motivieren uns, unser Angebot weiter auszubauen und noch mehr wichtige Themen aufzugreifen, die unseren Teilnehmenden einen echten Mehrwert bieten.
Was ist aber mit den Männern?
Giannina: Die Gesundheit von Männern ist natürlich genauso wichtig wie die von Frauen und jedem anderen Geschlecht! Es geht allgemein darum, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Herausforderungen aller Geschlechter zu verstehen.
Über Männergesundheit wissen wir schon wesentlich mehr. Ernährungsansätze (z. B. Low Carb, Intervallfasten) wurden vielfach an Männern getestet und für sie optimiert. Was jedoch fehlt, sind spezifische, wissenschaftlich fundierte Ansätze für Frauen, die deren besonderen Bedürfnissen gerecht werden. Frauengesundheit bekommt aktuell also einfach mehr Aufmerksamkeit, um bestehende Lücken zu schließen.
Somit sind alle, die sich von den Themen angesprochen fühlen, herzlich eingeladen, sich die Vorträge anzuschauen. Die Veranstaltungsreihe HerHealth ist ein Schritt hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung von Gesundheit, die niemanden zurücklässt.
Was plant ihr 2025 noch an Veranstaltungen in diesem Zusammenhang?
Beatrix: In den kommenden Monaten gibt es u. a. Vorträge zu Sport im Einklang mit dem Zyklus, PMS, Endometriose, Kinderwunsch und Wechseljahren. Der bekannte Gynäkologe Dr. Konstantin Wagner ist als Speaker bei uns im Programm und auch beim virtuellen Health Day im Oktober wird Frauengesundheit ein Thema sein.
Zum Equal Pay Day im März widmen wir uns den Zusammenhängen zwischen Gender Care Gap und Gender Pay Gap und beleuchten, welche gesamtgesellschaftlichen Ansätze uns hier weiterbringen. Ich erwarte, dass wir 2026 verstärkt in den Unternehmen vor Ort sein werden, um Führungskräfte oder Teams für das Themenfeld Frauengesundheit zu sensibilisieren. Das Interesse von Firmenseite ist groß.
Wie wichtig ist es, den Dialog über Frauengesundheit in einem beruflichen Umfeld zu fördern?
Beatrix: Das ist sehr wichtig, weil es Vorteile für die Einzelnen, im Team und auf Organisationsebene bringt.
Erstens können wir so die Scheu reduzieren, über Belastungen und Beschwerden zu sprechen. Ein offener Umgang kann persönliche Erleichterung bringen – schon allein dadurch, dass man sich mit seiner Belastung nicht allein fühlt. 67,6 Prozent der Frauen wünschen sich einen offenen Umgang mit den Wechseljahren am Arbeitsplatz, 52,1 Prozent fühlen sich mit dem Thema am Arbeitsplatz aber alleingelassen. (Anm. der Redaktion: Lesen Sie dazu mehr im Artikel "Female Lifecycle Management: Strategien und Tipps".)
Zweitens entsteht durch einen Dialog ein besseres Verständnis füreinander im Team. Das stärkt die Zusammenarbeit, fördert gegenseitige Unterstützung und kann Konflikten vorbeugen. Wenn wir wissen, dass die Kollegin unter starken Hitzewallungen leidet, nervt es uns vielleicht weniger, dass sie häufig das Fenster öffnet.
Drittens geht es um die wirtschaftlichen Potenziale, z. B. bei Frauen in den Wechseljahren: Laut der Menosupport-Befragung tragen sich aufgrund von Wechseljahresbeschwerden 24 Prozent der Frauen mit dem Gedanken, ihre Arbeitsstunden zu reduzieren, 19,4 Prozent wollen sogar vorzeitig in Rente gehen. Ein Dialog und entlastende Angebote dienen also auch der Mitarbeitendenbindung.