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Extremschwimmer André Wiersig im Wasser
Body & Soul

"Man sollte sich etwas Rebellisches bewahren"

Er ist als erster Deutscher durch die Ocean's Seven – die sieben gefährlichsten Meerengen der Welt – gekrault. Vor kurzem schwamm André Wiersig in einer viertägigen Wattenmeer-Odyssee von Husum nach Sylt. Er selbst sagt: Die Nordsee ist eines der gefährlichsten Gewässer der Welt. Am 10. Oktober ist der Extremsportler als Speaker beim Health Day 2024 dabei. Wir sprachen mit ihm über das Abenteuer Meer, Resilienz und harte Erkenntnisse.

Sie haben gerade die Wattenmeer-Odyssee absolviert, indem Sie von Husum nach Sylt geschwommen sind. Eine Riesenherausforderung …

Bei großen Herausforderungen geht es darum, sich einzulassen. In meinem Fall auf das Meer. Nehmen wir beispielsweise die Nordsee. Obwohl manche Strecken von der Distanz eher klein sind, birgt sie dennoch einige Risiken. Die Nordsee ist unberechenbar. Wenn man da draußen im Meer schwimmt, kann man nichts mehr kontrollieren, außer sich selbst. Es sind viele Dinge, die man trotz aller Vorbereitungen beachten muss.

Ich werde professionell durch mein Team unterstützt – da gibt es beispielsweise Menschen vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg, die die Strömungen berechnen. Doch trotz aller Planungen kommt es oft anders als erwartet.

Und warum machen Sie das?

Es geht mir nicht darum, zu beweisen, was ich alles kann, geschweige denn Menschen zu motivieren, das nachzumachen. Mit meinen Aktionen möchte ich vor allem auf den Klimawandel aufmerksam machen.

Welches Ihrer Schwimmabenteuer war für Sie bislang am herausforderndsten? 

Alle Gewässer haben ihre speziellen Herausforderungen. Beim einen ist es die Kälte, beim anderen die Strömung. Japan beispielsweise hat diese Wahnsinnswellen. Dann die ganzen Tiere wie etwa Haie. Die sind in der Nordsee kein Thema, dennoch gehören die beiden Strecken, die ich in der Nordsee geschwommen, also die „Wattenmeer Odyssee“ von Husum nach Sylt und das Schwimmen nach Helgoland, zu den schwierigeren Etappen.

Ist die Nordsee denn so eine große Herausforderung? 

Die Nordsee ist eines der gefährlichsten Seegebiete auf dieser Erde. Die darf man nicht unterschätzen. Man braucht nicht nach Tasmanien zu fahren. Die Nordsee wird nicht umsonst „Mordsee“ genannt. Sie ist schon ein richtig wildes Ding, aber natürlich auch sehr faszinierend.


André Wiersig ist Extremschwimmer und Meeresbotschafter.

Was motiviert Sie, solche extremen Herausforderungen anzugehen? 

Zum einen ist es - ganz egoistisch gesprochen - dieses Privileg da draußen sein zu dürfen. Es ist toll, an Stellen zu schwimmen, an denen nie jemand vorher war. Aber das Wichtigste, ist, die Menschen mitzunehmen und ihnen meine Perspektive mitzugeben. Es geht mir darum zu zeigen, dass das Meer nicht nur eine Kulisse für den Urlaub ist. Für die Menschen, die dort leben, ist es eine wichtige Versorgungsgrundlage.

Leider wird das, was wirklich wichtig ist, zu häufig als selbstverständlich hingenommen. Wir sind aber abhängig von gesunden Ozeanen – nicht von irgendwelchen Politikerentscheidungen oder Gaslieferungsverträgen.

Sie kommen aus Paderborn. Das liegt nicht wirklich an der Küste. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich dem Hochseeschwimmen zu widmen?  

Das hat sich bei mir entwickelt. Ich war mit meinen Eltern als Kind immer im Sommerurlaub im heutigen Kroatien, damals noch Jugoslawien. Darauf habe ich mich das ganze Jahr gefreut. Und da bin ich herumgeschwommen und war nicht mehr aus dem Wasser zu kriegen.

Ich liebe das Meer. Und ich habe natürlich auch diese Sehnsüchte und schönen Gefühle, wenn ich irgendwo am Strand stehe. Ja gut, meine Liebe geht mittlerweile ein bisschen darüber hinaus, denn ich gehe dahin, wo das Meer wirklich stattfindet. Das ist nicht an einer malerischen Küste, die wir aus einer Postkartenidylle kennen. Die Strände, diese aufgeräumten Beach Resorts haben mit dem Meer nichts zu tun.

Wie sieht ein Training aus, wenn Sie sich auf Ihre Abenteuer vorbereiten? Wie bereiten Sie sich mental darauf vor?  

Da ich in Paderborn lebe, kann ich leider nicht im Meer trainieren. Ich nutze die Möglichkeiten, die sich zuhause bieten: ich schwimme, mache Krafttraining, also die ganze Physis, Ausdauertraining, Flexibility (Gelenkigkeitstraining), Yoga.

Wirklich schwimmen in hohen Wellen oder in extremen Untiefen wie kürzlich im Vortrapptief in der Nordsee, kann man nicht trainieren. Das muss man visualisieren und sich in der Situation darauf einlassen. Das kann ich deutlich besser als die meisten anderen Menschen. Ruhe zu bewahren ist der Schlüssel, um überlebensfähig zu sein - und sei es nur für ein paar Stunden.

Ist das eine angeborene Resilienz oder trainieren Sie diese auch? 

Das ist antrainiert. Diese Resilienz hat man, glaube ich, nicht einfach so. Ich habe teilweise recht unkonventionelle Trainingsmethoden entwickelt, über die ich auf dem Health Day 2024 noch mehr berichten werde.

Der zentrale Erfolgsschlüssel ist: Ruhe bewahren und sich freimachen von Erwartungen. Wenn man da draußen bei so hohen Wellen schwimmt, kann man einfach nicht normal atmen.

Wie kämpfen Sie gegen die Müdigkeit an, wenn Sie so viele Stunden so große Distanzen schwimmen?

Man wird nicht müde. Ich muss versuchen, konzentriert zu bleiben. Der Rhythmus, wie ich ihn vom Fahrradfahren oder Laufen kenne, diese immer wiederkehrende Bewegung, die habe ich draußen im Meer nicht, weil die Wellen und das Meer mir den Rhythmus aufzwängen - und der hat nichts mit meinem Rhythmus im Hallenbad oder Freibad zu tun. Deswegen gilt es immer hellwach zu bleiben.

Das fällt mal leichter, mal schwerer, aber in der Regel gelingt es gut. Es sind dann halt mal zwölf, 15 oder 18 Stunden meines Lebens, in denen ich mich darauf einlasse und konzentriert bleiben muss. Das funktioniert gut bei mir, wobei die Gedanken natürlich auch mal wegdriften. Aber da muss ich mich zurückholen.


Das Schwimmen in wilden Gewässern ist André Wiersigs Passion.

Wie regenerieren Sie nach so einem großen Trip wie der Wattenmeer-Odyssee?  

Ich brauche schon ein paar Tage zum Verarbeiten. Man hat einfach so viel Quallengift im Körper, das erstmal raus muss. Die Leberwerte sind dazu extrem hoch. Man muss dem Körper ein bisschen Zeit geben, die Tortur zu verarbeiten. Ich bin schließlich vier Tage in dieser Wahnsinnskälte, nur in einer Badehose, geschwommen. Das ist nicht besonders gesund.

Deswegen ist Regeneration wichtig. Aber natürlich merke ich beim Runterfahren, dass sich das ein oder andere Körperteil meldet. Daher muss man sich gut beobachten.

Wie ist das, wenn Sie mal eine Aktion abbrechen müssen? 

Klar bin ich enttäuscht. Aber es gibt ja 1000 Gründe, abzubrechen oder aufzugeben, und das muss man genau analysieren und ganz selbstkritisch auch mal hinterfragen, woran das denn jetzt wirklich gelegen hat. Dem Ozean ist kein Vorwurf zu machen. So eine Aufarbeitung braucht Zeit, Abstand und dann muss man auch ganz ehrlich sein mit sich selbst. Und dass ich auf die Seychellen zurückkehre, hat einzig und allein damit zu tun, dass den Menschen vor Ort diese Aktion so am Herzen liegt. Den Menschen auf den Seychellen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen und das, teilweise unter wirklich starkem Verzicht, seit vielen Jahren ausüben. 

Auf den Seychellen gibt es nur drei Tage, in denen es theoretisch überhaupt möglich ist, meine geplante Distanz zu schwimmen. Und dieses Fenster soll nach allen Vorausberechnungen im Dezember liegen. Deshalb beobachten wir jetzt schon mit Argusaugen und suchen unsere Chance. Ich rede im Plural, weil ich das Team dabeihabe. Allein kann man sowas nicht machen. Das ist wie mit Wattenmeer-Odyssee. Da haben die anderthalb Jahre Vorbereitung reingesteckt.   

Arbeiten Sie auch mit jemanden, der Ihnen mental hilft?   

Ja, ich habe einen Psychotherapeuten. Den besuche ich einmal im Monat. Das ist ein reiner Analytiker. Er sagt mir nicht, was ich machen soll, aber die Gespräche, die Anleitung und das Verständnis für das eigene Verhalten helfen - auch für die Umsetzung zukünftiger Projekte.    

Gibt es ein bestimmtes Abenteuer, das Sie noch angehen möchten?

Ich schwimme diesen Sommer im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprogramms mit Bullenhaien und Buckelwalen. Ich habe schon sowohl Haie als auch Wale getroffen, aber meistens nachts und mutterseelenallein. Deshalb freue ich mich darauf, jetzt Teil eines Forschungsprojekts zu sein und in meiner Rolle als Schwimmer mitarbeiten zu dürfen.


Ruhe ist der Schlüssel: Schwimmen unter Extrembedingungen erfordert Resilienz.

Thema Longevity: Haben Sie einen Tipp, wie Menschen lebenslang gesund und fit bleiben können?

Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich nicht so überbeschützt, sondern sich auch was zutraut, also auch ein bisschen Mut zeigt. Da spielt dieser Schweinehund rein, der einem sagt: „Das ist jetzt aber unvernünftig und gefährlich“ oder „Du könntest hinfallen“.

Man sollte sich etwas Rebellisches seinem Körper gegenüber bewahren. Es darf nicht unvernünftig werden, aber sollte immer so gerade an der Grenze der Unvernunft stattfinden. Weiterzumachen, aktiv zu bleiben ist sehr wichtig. Das Wertvollste in unserem Leben ist die Zeit, die wir gesund und aktiv sind, und das will erarbeitet werden. 

Und man sollte sich überlegen: Habe ich alles ausgereizt, was in meinen Möglichkeiten steht, oder greife ich beispielsweise wegen meines Bluthochdrucks zu einem Medikament?

Trainieren Sie heute anders als noch vor zehn oder 20 Jahren?   

Ja, mit 52 merke ich das Alter auch – ganz klar. Ich vergleiche das mal mit einer Strömung, in der man festhängt: Wenn man Energie investiert - beispielsweise in mehr Bewegung – ist das Ergebnis der Stillstand und nicht der Fortschritt. Wenn ich nichts mache, werde ich von der Strömung zurückgetrieben. Wenn ich dagegen anschwimme, bleibe ich zumindest auf der Stelle stehen. Jetzt betreibe ich teilweise einen höheren Aufwand und bleibe dennoch stehen. Das ist eine harte Erkenntnis. Aber es ist einfach Fakt.

Weitere Informationen zu André Wiersigs Engagement als Meeresbotschafter gibt es auf seiner Website The Blue Heart.

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