
Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche: Das ist zu beachten
Auch Kinder können einen Pflegegrad erhalten, wenn sie aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung in ihrer Alltagsbewältigung eingeschränkt sind.
Ein Pflegegrad für Kinder wird nicht nur bei körperlichen und geistigen Behinderungen gewährt, sondern auch bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes sowie seltenen oder lebenslimitierenden Erkrankungen. Auch Entwicklungs- oder Verhaltensstörungen wie Autismus oder ADHS können Grund für einen Pflegegrad sein.
Zahlen zu pflegebedürftigen Kindern
Ist von Pflege die Rede, sind meist vor allem alte Menschen gemeint. Dabei sind immer mehr junge Menschen in Deutschland, darunter auch Kinder und Jugendliche, pflegebedürftig. Die Pflege findet überwiegend zuhause durch die Eltern statt.
Am Jahresende 2021 lebten in Deutschland rund 272.000 pflegebedürftige Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre (Bundesministerium für Gesundheit, 01/2023).
Zirka 1,3 Millionen Kinder leben in Deutschland mit einer chronischen Erkrankung. 320.000 bis 400.000 Kinder leiden an einer lebenslimitierenden Erkrankung, von denen etwa 190.000 akut lebensbedrohlich erkrankt sind. Quelle: Nestwärme e.V.
Grundsätzliches zum Pflegegrad
Ein Mensch gilt als pflegebedürftig, wenn er wegen körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen langfristig (mindestens 6 Monate) oder dauerhaft auf Unterstützung bei alltäglichen Aktivitäten angewiesen ist. Dabei müssen Beeinträchtigungen in folgenden Modulen vorliegen:
- Modul 1: Mobilität
- Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Modul 3 Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Modul 4: Selbstversorgung
- Modul 5: Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
- Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Je stärker die Beeinträchtigungen in diesen Modulen sind, desto mehr Punkte werden vergeben. Die Höhe der Punkte bestimmt die Einstufung in den Pflegegrad. Für Pflegegrad 2 sind beispielsweise mindestens 27 Punkte erforderlich.
Was ist beim Pflegegrad für Kinder und Jugendliche zu beachten?
Grundsätzlich gilt: Bei der Beurteilung werden altersentsprechend entwickelte Kinder und Jugendliche als Vergleich herangezogen. Ab 11 Jahren werden Kinder bei der Einstufung wie Erwachsene behandelt.
Das ist wichtig, wenn Sie für ein Kind einen Pflegegrad beantragen möchten:
Antrag: Den Antrag auf einen Pflegegrad stellen Sie bei der zuständigen Pflegekasse. In der Regel können Sie das Antragsformular online herunterladen oder bei der Pflegekasse anfordern. Auch eine formlose telefonische Antragstellung ist möglich.
Ärztliche Unterlagen: Hilfreich ist es, wenn Sie dem Antrag ärztliche Unterlagen oder Gutachten beifügen, die den Pflegebedarf dokumentieren – etwa Befunde, Diagnosen oder Berichte von Fachärzten.
Pflegebedarfsassessment: Die Pflegekasse wird ein Assessment durchführen, um den Pflegebedarf zu ermitteln. Hier wird geschaut, inwieweit das Kind in den Aktivitäten des täglichen Lebens eingeschränkt ist. Dafür ist es wichtig, alle relevanten Informationen und Beobachtungen zu dokumentieren.
Begründung des Antrags: Eine ausführliche Begründung, warum ein Pflegegrad notwendig ist, kann hilfreich sein. Schildern Sie dabei konkret die Einschränkungen und den Unterstützungsbedarf des Kindes.
Fristen und Widerspruch: Achten Sie auf die Fristen für die Antragstellung und die Bearbeitung. Wenn der Antrag abgelehnt wird, können Sie Widerspruch einlegen. Grundsätzlich werden die Leistungen ab Antragstellung gewährt.
Verschlechterungsantrag: Wenn ein Pflegegrad gewährt wurde, können Sie bei Bedarf einen Verschlechterungsantrag bei der Pflegekasse stellen.
Bitten Sie vor der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) um eine Gutachterin/einen Gutachter mit spezieller Kenntnis, da sich die Erkrankungen oder Problemstellungen bei Kindern erheblich von denen bei erwachsenen Menschen unterscheiden. Es empfiehlt sich eine gute Vorbereitung auf den Termin mit dem MDK.
Besonderheiten bei Kindern bis zum 18. Lebensmonat
Kinder im Alter von 0 bis 18 Monaten sind in vielen Lebensbereichen noch unselbstständig. Daher gelten für pflegebedürftige Kinder in diesem Alter spezielle Regelungen zur Beurteilung und Einstufung (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 SGB XI, § 15 Abs. 6 und 7 SGB XI).
Bei der Beurteilung werden nur die Module 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) und 5 (Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) herangezogen.
Ausnahmen: Bei Modul 4 kann der Punkt „Ernährung“ berücksichtigt werden, wenn das Kind gravierende altersuntypische Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme hat, wie etwa bei einem Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalt. In diesem Fall kann das Kind pauschal 20 Punkte in Modul 4 erhalten. Aus pflegefachlichen Gründen können Kinder auch dann dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, wenn sie nicht die erforderliche Punktzahl erreichen. Dies gilt zum Beispiel, wenn beide Arme und Beine vollständig funktionsunfähig sind und das Kind nicht greifen, stehen oder gehen kann.
Grundsätzlich werden Kinder unter 18 Monaten in der Regel einen Pflegegrad höher eingestuft als ältere Kinder oder Erwachsene mit vergleichbarem Hilfebedarf. Nach dem 18. Lebensmonat entfällt diese Sonderregelung.
Grundsätzlich ist es schwierig, für sehr kleine Kinder einen Pflegegrad zu bekommen, denn sie werden mit Kindern ohne Beeinträchtigungen verglichen – und sehr junge Kinder haben immer großen Unterstützungsbedarf.
Besonderheiten bei Kindern bis zum 11. Lebensjahr
Generell gilt für Kinder bis zum 11. Lebensjahr, dass die Module 3 und 5 altersunabhängig behandelt werden. Bei allen anderen Modulen werden die beeinträchtigten Kinder mit gleichaltrigen „gesunden“ Kindern verglichen.
Je jünger ein Kind ist, desto schwieriger ist es also, einen Pflegegrad zu erhalten, da sich ein kleines Kind im Pflege- und Betreuungsbedarf noch nicht wesentlich von einem gleichaltrigen „gesunden“ Kind unterscheidet.
Da die Module 3 und 5 altersunabhängig sind, kann auch ein Säugling oder ein kleines Kind ggfs. in diesen Modulen eine hohe Punktzahl erreichen. Auch Kinder mit psychischen/seelischen Beeinträchtigungen oder Entwicklungsstörungen wie ADHS und Autismus könnten in Modul 3 die Höchstpunktzahl erreichen.
Besonderheiten bei Kindern mit Autismus
Modul 1: Autistische Kinder haben oft Probleme mit der Koordination und deshalb beispielsweise Schwierigkeiten beim Treppensteigen.
Modul 2: Bei Autismus liegen oft auch kognitive Einschränkungen vor. Dazu zählen unter anderem örtliche, zeitlich und situative Desorientiertheit. Ebenso nehmen autistische Kinder häufig Hunger oder Durst nicht wahr. Sie benötigen detaillierte Anweisungen bei allen Tätigkeiten. Weitere Punkte in Modul 2 können zutreffen.
Modul 3: Hier treffen für autistische Kinder (und auch bei ADHS) einige Punkte zu, unter anderem motorische Unruhe, stereotypische Handlungen (Stimming), Aggressivität (Meltdowns), Depression, Ängste oder soziale Auffälligkeiten.
Modul 4: Autistische Kinder haben oft motorische und sensorische Probleme. Essen und Trinken müssen oft genau angeordnet und überwacht werden. Auch Unterstützung bei der Besteckhandhabung (Feinmotorik) kann nötig sein. Autistische Kinder haben auch ggfs. Probleme beim Duschen sowie An- und Auskleiden.
Unterstützung im Alltag
Für Eltern von Kindern mit Behinderungen gibt es verschiedene Unterstützungsangebote. Eine Auswahl:
Beratungsstellen: Verschiedene Organisationen bieten Beratungen für Eltern von Kindern mit Behinderungen an, unter anderem zu rechtlichen Ansprüchen, finanzieller Unterstützung und Hilfsangeboten.
Therapeutische Angebote: Physiotherapie, Ergotherapie und Sprachtherapie können Kindern mit Behinderungen helfen. Viele dieser Therapien werden von den Krankenkassen übernommen.
Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Eltern in ähnlichen Situationen kann eine große Entlastung sein. Selbsthilfegruppen bieten Unterstützung, Verständnis und praktische Tipps.
Finanzielle Hilfen: Eltern von behinderten Kindern können Anspruch auf verschiedene finanzielle Unterstützungen haben, wie z. B. das Pflegegeld, das Eingliederungshilfe oder Steuererleichterungen.
Freizeitangebote: Spezielle Freizeitangebote und Ferienfreizeiten für Kinder mit Behinderungen ermöglichen es den Eltern, eine Auszeit zu nehmen, während die Kinder betreut werden.
Eingliederungshilfe: Diese kann eine persönliche Assistenz z.B. in Kita oder Schule beinhalten. Ansprechpartner sind der Bezirk oder der Sozialhilfeträger.
Erholungsangebote: Eltern-Kind-Kuren bieten eine gute Möglichkeit der Erholung. Informationen zu Kureinrichtungen finden Sie bei der Elly Heuss Knapp Stiftung/Deutsches Müttergenesungswerk.
Hilfreiche Links
Müttergenesungswerk
AOK Pflegenavigator
Teilhabeberatung
Familienpflegezeit
Pflegende Angehörige können grundsätzlich Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. Das trifft auch für Eltern von pflegebedürftigen Kindern zu. Daraus ergeben sich wiederum Erleichterungen wie flexible Arbeitszeitgestaltung, finanzielle Unterstützung und Kündigungsschutz.
Im Rahmen der Familienpflegezeit können sich Berufstätige für bis zu 24 Monate von der Arbeit teilweise freistellen lassen, wenn sie eine pflegebedürftige nahe Angehörige oder einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Der Anspruch gilt auch für die Betreuung minderjähriger pflegebedürftiger Angehöriger in häuslicher oder außerhäuslicher Umgebung. Sie haben die Möglichkeit, sich mit einer Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden teilweise freistellen lassen.
„Dann machen wir es eben selbst“, sagten sich Petra Moske und Elisabeth Schuh, als sie erkannten, dass es für Familien mit Kindern, die besonderem Förderbedarf haben, viel zu wenig Unterstützung gibt. Vor 25 Jahren riefen sie den Verein „nestwärme“ ins Leben, mittlerweile ein bedeutendes Netzwerk der Hilfe in Deutschland, Österreich und Luxemburg.
Die Gründerinnen geben Einblicke, wie sie diesen Weg gemeistert haben. Zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen die Vielfalt der Herausforderungen, mit denen betroffene Familien konfrontiert sind, und zeigen die positiven Auswirkungen der Arbeit von „nestwärme“.
Von Petra Moske und Elisabeth Schuh, Bonifatius Verlag Paderborn, 2025
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